Redebeitrag zum Nachlesen: Kassel steht zusammen

Vor einem Monat, am 20.01.2024 fand unter anderem in Kassel eine Großdemonstration „gegen Rechts“ statt. Für diese Demo hat unser*e nordhessische Kolleg*in Suse einen Redebeitrag geschrieben und ihn im Namen der (nord)hessischen Netzwerkstellen gehalten. Diesen Beitrag wollen wir euch hier nochmal zum Nachlesen zur Verfügung stellen.

Anmerkung: Suse hat einige Dinge und Wahrnehmungen ergänzt, die Suse beim Redehalten hinzugefügt hat oder aufgefallen sind. Diese stehen kursiv in Klammern im Beitrag.

Redebeitrag „Es braucht mehr“

Mein Name ist Suse, ich bin unter anderem Teil der queeren Netzwerkstelle Nordhessen. Ich möchte damit beginnen, mich für alle zu beschreiben, die mich nicht sehen können und/oder kennen, ich bin unter anderem weiß, akademisiert und lohnarbeitend. Ich bin von den von Correctiv aufgedeckten Plänen erstmal nicht selbst betroffen. Es ist wichtig, diese unterschiedlichen Betroffenheiten zu benennen.
Ich sage „erstmal nicht selbst“, weil ich und viele andere auch wissen, dass faschistische Deportations-, Gewalt- und Vernichtungsfantasien weitergehen. Es trifft zuerst Menschen, die vermeintlich nicht deutsch genug aussehen, nicht deutsch genug sind, die nicht weiß genug sind. Dann betreffen diese Fantasien aber Menschen mit Behinderung, chronisch kranke Menschen und queere Menschen. Dann Menschen, die sich faschistischer Ideologie entgegenstellen oder auch einfach nicht faschistisch genug sind.
Ich bin unter anderem queer. (hier hab ich kurz gesagt, dass das mein bisher größtes Coming-Out war). Ich bin psychisch erkrankt und setze mich aktiv für Antidiskriminierung und Menschenrechte für alle ein. Ich bin erstmal nicht selbst betroffen. Aber dann schon und deshalb spreche ich heute hier.

Für diese Demo habe ich verschiedene Redebeiträge geschrieben. Zwischenzeitlich hatte ich überlegt, einfach ein paar Minuten ins Mirko zu schreien. Aber nun habe ich mich für Folgendes entschieden, das sich an zwei, zum Teil überschneidende Gruppen richtet: einmal die sogenannte Mitte der Gesellschaft, und einmal an Betroffene rechter Gewalt und faschistischer Ideologie.

Liebe Mitte der Gesellschaft,
Ihr seid ganz schön abgedriftet und nach rechts gewandert. Ich weiß, dass ihr das jetzt nicht hören wollt. (hier war es kurz ziemlich still, ich habe hier noch sowas gesagt wie „das tut jetzt kurz weh“) Ich weiß, viele von euch haben das vielleicht nicht bewusst mitgekriegt.
Aber ihr habt rechten Narrativen geglaubt und sie geteilt. Nachdem die Recherche veröffentlicht wurde, seid ihr vielleicht überrascht und schockiert gewesen und jetzt seid ihr hier. Es ist gut, dass ihr hier seid. Denn eigentlich seid ihr gegen Faschismus. Ihr seid eigentlich gegen Nazis. Eigentlich gegen die AfD. Aber jetzt aus diesem rechten Sumpf zurück zu kommen, ist nicht ganz einfach. Und es braucht mehr als bei einer Demo gegen rechts zu sein. Ich möchte Tupoka Ogette zitieren, die auf Instagram schrieb: „Seid nicht überrascht. Seid nicht schockiert. Bitte. Seid ready. Seid ready im wahren Leben. Und zwar abseits von Social Media. Sprecht mit Kolleg*innen, in der Familie, mit Freund*innen, mit Nachbarn. Lasst nicht locker. Übt es zu argumentieren, habt eure Fakten parat, bildet euch.“

Da ich politische, vor allem queere, Bildung für verschiedene Altersgruppen anbiete, möchte ich den folgenden Tipp ergänzen, um den rechten Sumpf zu verlassen: Hört auf, rechten Schauermärchen zu glauben. Auch wenn sie Ängste in euch schüren oder eure persönlichen Feindbilder ansprechen. Rechte Schauermärchen handeln zum Beispiel von „der Islamisierung des Abendlandes“, „Gendergaga“, „Lebensunwertem Leben“, „Wirtschaftsflüchtlingen“, „Sozialschmarotzern“, „Klimahysterie“ und „Sprachpolizei“. (Ich habe hier, glaube ich, gekichert, weil es so absurd still war und nochmal gesagt, dass das jetzt kurz wehtut.) Und ich weiß, in einigen von euch wird sich ein „JA ABER“ regen. Schluckt das bitte erstmal runter. All diese Märchen wurden und werden genutzt, um Menschen weiter abzuwerten. All diese Märchen werden sogar von Parteipolitiker*innen einer vermeintlichen Mitte zitiert und befeuert. All diese Märchen werden zum Beispiel unter dem Deckmantel vermeintlicher Satire, aber auch in Talkshows immer wieder auf Bühnen wiederholt. Hört auf, rechten Schauermärchen zu glauben. Und wenn sich euer „Ja aber“ regt, dann sprecht mit Fachstellen- und Personen, die sich mit dem Thema auskennen, oder lest, schaut oder hört in seriösen Quellen nach. (Twitter und Friedrich Merz sind keine seriösen Quellen (hatte kurz Oberwasser).) Liebe Mitte der Gesellschaft, ihr müsst aus dem rechten Sumpf raus. Ihr müsst eine ernsthafte Brandmauer nach Rechts seid. Für eure Familien, Freund*innen, Kolleg*innen, Bekannten, aber auch für euch und vor allem, weil es solidarisch ist.

Ich möchte meine Beitragsteil für euch mit einem Zitat von Kimberlé Crenshaw schließen: „Intersektionalität lenkt den Blick auf Unsichtbarkeiten, die in Feminismus, Anti-Rassismus, Klassenkampf existieren. Entsprechend schwierig ist es, dass wir uns ständig daran erinnern müssen, Machtstrukturen im Blick zu behalten, die uns selbst nicht betreffen.“

(glaube hier habe ich was Überleitendes gesagt?)
Liebe Betroffene rechter Gewalt und faschistischer Ideologien,
Holy shit, it’s bad. Und es ist erdrückend. Und ich weiß, dass wir müde sind. Ich weiß aber auch, dass wir auch untereinander zu selten solidarisch sind. Das muss sich ändern. Wir brauchen nicht nur eine internationale Solidarität, sondern eine intersektionale Solidarität. Wir müssen uns gegenseitig schützen und stützen. Unsere Kämpfe liegen so nah beieinander und dennoch sind wir selbst oft untereinander diskriminierend. Auch wir dürfen nicht einem rechten Schauermärchen glauben, nur weil es dabei mal nicht um uns geht. Wir müssen einander glauben. Wir müssen uns gegenseitig schützen & stützen. Wir müssen intersektional solidarisch miteinander sein.

Abschließend habe ich für uns alle hier ein Zitat von audre lorde: „Dein Schweigen wird dich nicht schützen.“ In diesem Sinne, lasst uns das Schweigen brechen. Lasst uns laut sein. Gegen Faschismus und gegen Rechts.